15. Januar 2017

Pöbelnde Populisten

Sächsischer SPD-Vorsitzender Dulig und Dresdner Politikwissenschaftler Patzelt diskutieren über Populismus

Dresden, 13.01.2017 (KPI): Die Begrifflichkeiten sind hoch gewählt an diesem Abend im Dresdner Haus der Kathedrale. Von „Zeitenwende“ ist die Rede. Von „Krisenhaftem“. Und: „Die Welt scheint aus den Fugen geraten.“

Es sind Sachsens Stellvertretender Ministerpräsident und SPD-Landesvorsitzender Martin Dulig und Politikwissenschaftler Professor Werner Patzelt, die am Abend des 12. Januar in der Reihe „KircheKontrovers“ in einer von der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen und dem Herder-Verlag gemeinsam initiierten Veranstaltung aufeinandertreffen. „Pöbelnde Populisten“ – so lautet das Thema, das einen Nerv in Dresden zu treffen scheint. So ist der Bischof-Gerhard-Saal rasch voll besetzt, eine Lautsprecherbox überträgt die Diskussion zusätzlich ins Foyer.

SPD-Politiker Dulig eröffnet die Diskussion mit einem ersten Aufschlag. Er macht auf den Zusammenhang zwischen Sprache und Gewalt aufmerksam. Warnt davor, dass Worte als erster Schritt dienen könnten, Mitmenschen zu „entmenschlichen“ und angreifbar zu machen. Begriffe wie „Umvolkung“ und „Lügenpresse“ seien eben nicht zufällig aus dem Sprachgebrauch der Nationalsozialisten entnommen. Heute würden sie nach seiner Wahrnehmung „bis in die CDU“ hineinreichen, so Dulig.

Das Publikum im Saal spiegelt das Konfliktpotential des Abends wider: die Veranstaltung hat erst wenige Minuten begonnen, die Diskussion steckt noch im Eröffnungsstatement, da steht bereits ein ehemaliger Pegida-Mitorganisator auf und verlässt lautstark schimpfend den Saal. Auch Tatjana Festerling – bis April 2016 ebenfalls Pegida-Führungskraft – sitzt im Publikum und wird sich im Lauf des Abends noch zu Wort melden.

Die rechte Lücke

Politikwissenschaftler Werner Patzelt macht schnell klar: für ihn besitzt Populismus weniger negativen Beigeschmack als vielmehr legitimen Kern. Immerhin sei es Aufgabe der Politiker und gewählten Volksvertreter, Politikwissenschaftler Prof. Werner Patzeltauf die zu hören, die sie vertreten. „Populismus entsteht, wenn etwas nicht richtig funktioniert“, so Patzelt. In einer repräsentativen Demokratie sollte sich möglichst jede Meinungsströmung widerfinden. Vieles spräche nach seiner Analyse allerdings dafür, dass gerade im rechten Flügel des Politikbetriebes eine „Repräsentationslücke“ entstanden sei. Wie das Entstehen der Grünen-Partei vor Jahrzehnten auf eine Repräsentationslücke der Linken durch die SPD-Politik Helmut Schmidts zurückzuführen sei, tue sich heute in der CDU eine Lücke auf. „Der Deutsche Rechtspopulismus hat eine Repräsentationslücke“, so Patzelt, selbst CDU-Mitglied.

Es ist ein abwechslungsreicher Abend; auch über das Internet – wohin die Veranstaltung per Livestream übertragen wird – verfolgen zahlreiche Interessierte die Diskussion, die der Politikwissenschaftler wortgewandt, schneidend scharf analysierend, mitunter provoSachsens Stellvertretender Ministerpräsident Martin Duligkant vorantreibt. SPD-Politiker Dulig erntet seinen stärksten, lang anhaltenden Beifall, als er seine Beklemmung und Scham über die Geschehnisse zum 3. Oktober 2016 vor der Dresdner Frauenkirche schildert. Damals hatte eine pöbelnde Menschenmenge die Ehrengäste zum Tag der Deutschen Einheit in der Sächsischen Landeshauptstadt aggressiv beschimpft und ausländische Gäste fremdenfeindlich verunglimpft. „Rechtspopulismus befördert Rechtsopportunismus“, so sein Credo. Die Analysen des Politikwissenschaftlers gehen ihm daher mitunter zu weit, seien Rechtfertigung für entstehende Konfliktherde und ein „Kokettieren in Grauzonen“, so Dulig.

Protest im demokratischen Rahmen

Der Politikwissenschaftler wehrt sich. Proteste vorzubringen, sei in einer Demokratie absolut legitim. Allerdings: „Die Form, diesen Protest vorzubringen, darf die Demokratie nicht beschädigen. Daran haben manche zu arbeiten“, so Patzelt. SPD-Politiker Dulig sieht im aktuell hohen Politisierungsgrad der Bevölkerung vor allem eine Chance. „Wir müssen aus dem Destruktiven raus. Die Menschlichkeit wieder in den Mittelpunkt stellen“, so sein Fazit. Dann könne die gegenwärtige Situation durchaus einen positiven Nutzen haben.

Und auch das Verhältnis von Christentum zu AfD, Pegida und Co. steht im Fokus. Professor Patzelt: „Das Christentum ist ziemlich zahnlos geworden.“ Die Kirche entfalte im politischen Bereich kaum noch Wirkung, „außer dass sie ihre Kirchenbeleuchtung mitunter zeitweise ausschaltet und sich dadurch selbst nach Dunkeldeutschland versetzt.“

Kirche und AfD

Auf die Frage des Moderators, ob die AfD von Christen wählbar sei, vertritt der Wissenschaftler eine eindeutige Meinung: kirchliche Repräsentanten könnten ihren Schäfchen zwar Kriterien aufzeigen, anhand derer sie Parteien auf ihre Übereinstimmung mit christlichen Werten und Grundsätzen hin prüfen könnten; die letzte Wahl-Entscheidung sollte aber tunlichst jedem einzelnen selbst überlassen bleiben, so Patzelt. Einen versöhnlichen Aspekt des Abends bietet schließlich ausgerechnet ein Resümee des Politikwissenschaftlers mit Hinweis auf die Bibel: „Nur wenn guter Wille auf guten Willen trifft, entsteht Friede.“

Bericht: Bistum Dresden-Meißen, Michael Baudisch

 

Die Videos zur Veranstaltung

 

Das Buch

Stefan Orth/Volker Resing (Hg.): AfD, Pegida und Co. Angriff auf die Religion?

Mit Beiträgen von Christian Hermes, Joachim Klose, Hans Joachim Meyer, Werner Patzelt, Andreas Püttmann, Karlheinz Ruhstorfer, Thomas Sternberg, Sonja Strube, Kardinal Rainer Maria Woelki und Paul Zulehner.

Edition Herder Korrespondenz. Herder 2017. 208 Seiten, 16,99 Euro

 

Medienberichte zur Veranstaltung