21. Dezember 2016

Standpunkt: Die Nacht aushalten

Akademiedirektor über den Anschlag in Berlin

Der folgende Beitrag erschien als Standpunkt auf www.katholisch.de am 21.12.2016.

Tag zwei nach "#Berlin". Immer noch versucht der innere Ruf nach Vergeltung und strafender Gerechtigkeit einen Hall in der Leere eigener Ohnmacht zu erzeugen. Zu viel erinnert an Nizza. Zu sehr trifft es die Sehnsucht unseres Landes nach Geborgenheit und Wärme - gerade jetzt, gerade im Advent.

Die Sehnsucht von uns ist groß, mehr Fakten zum Geschehen, zum Täter und zu den Opfern zu erfahren. Für die Medien ist es verlockend, Informationen "aus sicheren Quellen" anzugeben, Betroffene zu finden, die emotional über ihr Schicksal berichten, und der eigenen Leserschaft manches Vorurteil ungeprüft zu bestätigen. Ebenso verlockend wird die Tat für jene, die rasch ihre politischen Forderungen verbalisieren, weil sie sich bestätigt fühlen und Veränderungen wollen. Erneut wird der Grat zwischen der angemessenen Berichterstattung, dem Statement eigener Trauer und Sensationsgeilheit schmal. Nicht die Balance zwischen den Polen schafft hier die Lösung, sondern das eigene Schweigen.

Das Aushalten des Nichtwissens, das im Schweigen seinen Ort hat, gibt den nötigen Freiraum: für die Ermittlungen der Sicherheitsbeamten, für die ärztliche Behandlung der zum Teil Schwerstverletzten, für die Verarbeitung des Erlebten bei den Betroffenen. Vor allem aber bei den Angehörigen für ihre Trauer. "Es ist Nacht" sagte der Berliner Erzbischof Koch treffend in seiner Reaktion. Freunde und Verwandte haben Menschen verloren, die ihnen Mut schenkten und das Leben begleiteten. Die Dunkelheit des Leids verdrängt jedes Licht der Hoffnung. Jetzt ist die Zeit, mit den Betroffenen diese Nacht zu durchleben, ohne sie persönlich zu kennen. Das kann für Gläubige die Begleitung im Gebet sein. Auch der Verzicht auf ausgelassene Fröhlichkeit und ein unbenommenes "Weiter so" kann für eine Zeit eine Antwort sein, weil sie zum Ausdruck des Mitgefühls der Betroffenen wird. Vor allem aber ist jetzt nicht der Zeitpunkt, das Leid politisch zu vereinnahmen. Insofern kann unser Schweigen auch dabei helfen, Unwahrheit, Vorurteil und Verallgemeinerung als Katalysatoren der Polarisierung nicht weiter zu befördern. Darin zeigt sich Haltung in diesen Tagen: für Medien, Politiker und uns.