04. März 2022

Zeitenwende

Das Wort zum Sonntag in der DNN von Dr. Thomas Arnold

Seit dem 24. Februar ist alles anders. Für Kinder in Europa ist das Wort „Krieg“ wieder mit einer realen Erfahrung geprägt. Alle sind in einer anderen Welt aufgewacht, wie es die Bundesaußenministerin an jenem Donnerstag formulierte. Seitdem erstrahlen zeichenhaft Rathäuser, Kirchen und Akademien in blau-gelb, demonstrieren und beten Menschen gegen eine weitere Eskalation und bereiten sich Städte und Länder auf die Welle von Frauen und Kindern vor, die der Not entfliehen wollen.

 Und wo ist Gott? Das ist die Frage, die sich Menschen immer wieder in Freude und Trauer stellen. Doch verbietet sich gerade im Angesicht des existentiellen Leids eines Kriegs die einfache Antwort. Dabei ist die Versuchung mit Blick in den raketengefüllten Himmel groß. Doch sie wäre eine Plattitüde. Oder es würde zur Flucht in eine Frömmigkeit, die nur kurz trägt, aber letztlich zur Verzweiflung führen kann. „Es ist nicht der Blick nach oben, der uns die Angst vor Bomben nimmt. Es ist der Blick nach unten, in die Tiefe unserer Beweggründe für Hass und Gewalt, für Frieden und Gerechtigkeit“, schrieb zuletzt der Theologe Ludger Verst in seinem Blog und forderte: „‘Ohne Angst vor Bomben und Granaten‘ werden Menschen nur dann leben können, wenn sie ‚Einsicht und Vernunft‘ nicht von Gott erbitten, sondern gemeinsam selbst erarbeiten. Wenn sie lernen, in die eigenen Gründe und Abgründe zu schauen, die sich auftun, wenn Menschen um jeden Preis um Anerkennung ringen.“ Das ist nicht die atheistische Glaubensschule des 21. Jahrhunderts, die das Heil der Welt nur noch im Weltlichen sieht. Sondern es ist vielmehr die radikale Fortschreibung der Schöpfungsgeschichte und des Pfingstereignisses in unseren Tagen. Denn wer die Freiheit des Menschen ernst nimmt sowie um seine gleichzeitige Heiligkeit und Sündhaftigkeit weiß, kennt auch die Verantwortung des Einzelnen.

Jeder trägt in absoluter Freiheit die Last der Verantwortung für das eigene Handeln. Schwere Kost zum Wochenende! Was das ganz konkret heißt: Putin wird Verantwortung für seine Taten übernehmen müssen. Wir auch. Denn in wenigen Tagen werden wir an einem Punkt kommen, an dem es nicht mehr reicht, die Fenster in blau und gelb einzufärben. Dann wird es nicht mehr reichen, von Politikern die Einschränkungen zu fordern. In wenigen Tagen werden wir gemessen, wie weit unsere Solidarität geht. Sind wir bereit, in unseren Wohnungen Zimmer freizuräumen, um Flüchtlinge aufzunehmen? Sind wir bereit, höhere Steuern zu bezahlen, um uns eine Verstärkung unseres Militärs zu leisten?

Es ist nicht nur eine Zeitenwende für die Weltpolitik, sondern es kann zur Zeitenwende für unser eigenes Verhalten werden. Es wäre ebenso der Ruf an die von Bomben Bedrohten und an die in Verantwortung für den Frieden handelnden Politikerinnen als auch an die in Russland gegen die Aggression Putins Demonstrierenden: Habt Hoffnung! Eine Veränderung ist möglich. Das bedeutet die Fastenzeit in diesem Jahr. Diese Zeitenwende kann für den Einzelnen jeden Tag neu beginnen. Gott ist dort, wo man bereit ist, den Verhärtungen und eigenen Abgründen das barmherzige Herz entgegenzuhalten.

Vielleicht kann dieser Sonntag bei Ihnen zu einer inneren Veränderung führen. Im ganz Kleinen des Alltags. Das wird nicht die Aggression Putins stoppen können. Aber was, wenn mit der neuen Woche Zeichen der Hoffnung der Nachrichtenlage etwas entgegensetzen? Der Sonntag hat das Potential, selbst nicht zu verhärten, sondern den Frieden zu suchen. Und damit zur Zeitenwende für ein friedliches Miteinander beizutragen.