23. Oktober 2021

Gemeinsam Horizonte öffnen

20 Jahre Katholische Akademie Dresden-Meißen – ein Gespräch der Direktoren

Die Fragen stellte Maria Minkner.

20 Jahre Katholische Akademie! Wie stellt sich die Situation der katholischen Kirche in Mitteldeutschland dar?

> Dr. Joachim Klose: Wir befinden uns in Mitteldeutschland in einer radikalen Diasporasituation. Für 75 Prozent der Gesellschaft spielt der Glaube keine Rolle, nur ca. vier Prozent der Sachsen sind zum Beispiel katholisch. Der Zuspruch zur Kirche ist nach 1989  nicht wesentlich gestiegen. Das hat auch etwas mit der Angebotsseite zu tun, denn der Zusammenbruch des Sozialismus ging mit einem Sinnverlust und der Neuorientierung einher, sodass eigentlich eine Chance bestanden hätte. Gegenwärtig ist mir die Kirche viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie müsste in einer offenen Gesellschaft offener sein.

 

Pater Maaß, Sie sind Jesuit, kommen aus Hessen und dem Bistum Mainz. 2007 haben Sie die Leitung der Akademie übernommen. Dresden war Ihre erste Berührung mit der Kirche im Osten Deutschlands. Vieles vertraut oder alles ganz anders? 

> P. Clemens Maaß: Anders! Es ist eine deutliche Diasporasituation. Wenn ich im Westen das Wort Diaspora höre, dann muss ich immer etwas lächeln und sage den Leuten: Was
Diaspora ist, merkt man woanders. 

Meine ersten Eindrücke waren: klein – finanziell, strukturell, personell bei weiten nicht so ausgestattet wie in vielen Bereichen Westdeutschlands – aber das hatte Charme. Und die Leute, die ich kennenlernte, haben mich beeindruckt. 

Den Spagat hinzubekommen zwischen Beheimatung in der Gemeinde und gleichzeitiger Offenheit in einer Gesellschaft, das ist natürlich nicht ganz leicht. 

 

Und wie würden Sie es aus heutiger Sicht beurteilen, Herr Dr. Arnold? Gebürtig aus Zwickau haben Sie in Vallendar Theologie studiert, kennen damit sowohl die Diasporakirche im Bistum Dresden-
Meißen als auch die katholische Kirche westdeutscher Prägung. Ist es Kirche aus heutiger Sicht gelungen, aus diesem Nischendasein auszubrechen? 

> Dr. Thomas Arnold: Diese Erfahrung von außen und innen kenne ich aus Kindheitstagen. Das Gefühl von Freiheit trägt mich und bringt mich dazu, Religion zu gestalten – in freiheitlicher Situation und eben nicht in der Willkür eines DDR-Regimes. Zugleich trägt mich die Erfahrung, dass Leute weggehen und ein Gefühl des Wegbrechens entsteht. Ich erlebe dabei eine Kirche in der Region, die sagt: Wir sind so voll nach innen hin, wir haben gar keine Energie mehr, nach außen zu gehen. 

Hier müssen wir aus meiner Sicht aufpassen, dass wir uns nicht ständig fragen, wie wir uns neu strukturien und dabei die Fliehkräfte nach außen ins Missionarische völlig vergessen und verlassen.

Dr. Klose, Sie sind Gründungsdirektor der Akademie. Was war der Antrieb zur Gründung einer Akademie in einem Ostbistum?

> Dr. Joachim Klose: Man kann sich die Gemeindesituation vielleicht so vorstellen, dass die Gemeindeglieder im Kreis mit dem Blick auf das Zentrum, das Allerheiligste, geschaut haben. Und meine These war: Wir müssen uns eigentlich auf der jeweiligen Position umdrehen und mit dem Allerheiligsten im Rücken nach außen in die Gesellschaft schauen. 

Ich habe übrigens nicht die DDR-Kirche als Nischenkirche empfunden. Ich habe sie immer als Weltkirche empfunden. Also Nische war sie nie, aber sie war klein, sie war wirkungslos und sie sollte wirkmächtig werden. Dabei stand die Frage im Raum, wie wir mit den gesellschaftlichen Herausforderungen heute umgehen?

Die Anfangswege der Akademie waren schwierig und es war eine große Herausforderung. Wir haben mit einer einzelnen Person begonnen und einem leeren Raum, ohne Mittel, ohne Ressourcen, ohne Möbel, ohne Computer, ohne Adressverteiler und haben es doch geschafft, die Akademie in eine Dimension zu führen, die weite Sichtbarkeit erreicht hat, sodass alle sagten, oh was ist denn da jetzt entstanden, was ist denn da aufgebrochen? 

 

Da sind wir bereits bei dem, worin sich Akademiearbeit präsentiert, wo Diskussionen stattfinden können. Vielleicht können wir es doch unter »Akademie als Dienstleister« subsumieren?

> Dr. Joachim Klose: Akademie ist nicht Dienstleister, sondern ein Diskurs- und Verstehensraum. Es geht ums Verstehen der innerweltlichen Situation. Im Prinzip haben wir nichts Anderes gemacht, als die Situation der Menschen im Freistaat Sachsen und im ganzen Bistum beobachtet, die existentiellen Fragen der Menschen formuliert und sie im Forum diskutiert, um zu verstehen, was eigentlich mit uns passiert ist und wo wir uns engagieren müssen. 

Und die Religiosität, die Frage nach dem Glauben, das war die Grundschwingung, die von Anfang an die tragende Achse war, um die es immer ging.

> P. Clemens Maaß: Ich habe  auch ein wenig Bauchschmerzen bei der Bezeichnung »Akademie als Dienstleis-
ter für das Bistum.« In manchen Bistümern wird geradezu erwartet, dass die Diözesan-
akademie innerkirchliche Prozesse begleitet. Ich war jedenfalls heilfroh, dass ich dies nicht machen musste und den Fokus stärker auf das Aufdecken und Einbringen religiös-theologischer Fragestellungen im außerkirchlichen Bereich legen konnte. 

> Dr. Thomas Arnold: Wenn wir uns gegenseitig am Dienstleisterbegriff reiben, ist vielleicht damit auch noch einmal eine Veränderung in den letzten 20 Jahren erkennbar. 

Wir werden nicht gezwungen, innerkirchliche Prozesse zu begleiten, aber es gibt innerkirchliche Themenfelder, die konfliktiv sind. Diese in eine Debatte und auf einer Sachebene zu bringen, die Debatte innerkirchlich voranzubringen oder zu bereichern, ganz im Sinne des Verständnisses einer »Agora«. Das ist für mich schon eine Dienstleistung für Kirche –
in einer Zeit, in der sie selbst nach theologischen Verortungen oder Veränderungen sucht. 

 

Dass sie das bleibt, diesen Wunsch dürfen Sie noch einmal formulieren. 

> Dr. Joachim Klose: Das schöne ist doch, dass die Akademie ja auch durch die Personen geprägt ist, die sie gestalten und die aufmerksam gesellschaftliche Prozesse beobachten. Wir brauchen uns deshalb gar nicht an dem Dienstleisterbegriff entlang hangeln. 

> Dr. Thomas Arnold: Unser Land und unsere Gesellschaft sind von sehr verschiedenen Narrativen geprägt ist. In einer pluralen Gesellschaft ist es schwierig, explizit über Gott zu reden. Wir müssen uns immer erneut verständigen und das im öffentlichen Raum. Das ist in den letzten Jahren natürlich eine Chance von Akademie gewesen – sowohl aus der Ferne als auch aus der Nähe habe ich wahrgenommen, dass die Gesellschaft unter enormer Spannung steht und diese Spannung die Gesellschaft dennoch nicht in Sachsen zerreißen lässt. Sie ist aber so angespannt, dass man sich zum Teil bis in die Familien hinein über gewisse Themen nicht mehr unterhalten kann, weil sie Angst haben, dass gewachsene Zusammenhänge zerreißen. 

Wer sich das Akademieprogramm anschaut, wird merken, dass immer noch Musik und Kultur sowie Naturwissenschaft darin vorkommenen. Insofern kann ich jeden beruhigen, aber natürlich sind wir gesellschaftspolitischer geworden. 

 

In welchem Ausmaß sollte sich Kirche in politische Debatten einbringen? Wieviel Debatte hält eine Akademie aus?

> Dr. Joachim Klose: Ich finde das spannend, dass ich mich in diesem Punkt mit Herrn Dr. Arnold wiedertreffe. Er schaut aus dem religiösen Raum auf den politischen und ich schaue häufiger aus dem politischen auf den religiösen. Ich finde, dass Akademiearbeit und Kirche hoch politisch sind und sich immer äußern sollten. Sie sollte aber keine eigenen politischen Positionen beziehen, sondern Seelsorge und Hilfen für alle Menschen anbieten. Das heißt, Kirche muss die Themen der Zeit aufgreifen und Position beziehen, sie analysieren und den Menschen Hinweise geben, wie sie für sich damit umgehen. 

> P. Clemens Maaß: Ich habe in den vergangenen fünf Jahren die Akademiearbeit nur aus der Ferne verfolgen können. Bei manchen Programmen habe ich ein wenig geschluckt. Es gab politische Herausforderungen, aber es kommt darauf an, wie man es angeht. Ich hätte es so nicht gemacht.

Aber das ist genau das, was Herr Dr. Klose gerade sagte: Inwieweit positioniert sich Kirche, oder eben dann auch ganz konkret eine Akademie, zu politischen Fragen? Oder inwieweit ist es vielleicht das Originäre einer Katholischen Akademie eine Plattform des Miteinander-ins-Gesprächs-Bringens zu sein.

> Dr. Thomas Arnold: Ich kann ja glücklicherweise sagen, dass ich bisher noch nie eine Vorgabe bekommen habe nach dem Motto: Du darfst dies nicht machen oder du sollst das ganz anders machen. Da besteht bis heute eine große Freiheit. Vielleicht würde ich heute auch manches anders machen, was ich vielleicht 2016/2017 gemacht habe. 

Mit Blick auf Corona: Natürlich ist die Akademie nicht dazu da, in erster Linie auf die Intensivstationen zu gehen und Seelsorge zu betreiben, da sind wir uns alle einig, aber Themen aufzugreifen, die die Menschen genau in dieser Zeit umtreiben, das sehe ich schon als Aufgabe einer Akademie: Ich glaube wir haben als Religion große Begriffe von Schuld, von Vergebung, von Gnade. Die kommen in dieser Pandemie ganz stark wieder nach vorne. Und wenn wir in den nächsten Monaten und Jahren davon erzählen und vielleicht von Heilung der Gesellschaft sprechen wollen, dann sind es, denke ich, diese Begriffe, die wir einbringen können in den Diskurs.

> Dr. Joachim Klose: Wenn man so möchte, sind Thomas Arnold, Clemens Maaß und ich als Akademiedirektoren Moderatoren. Wir beobachten aufmerksam Gesellschaft und moderieren Prozesse. Das würde ich der Akademie auch weiterhin wünschen, dass sie ein angesehener Moderator gesellschaftlicher Prozesse ist. Dass sie in der Balance gesellschaftlicher Spannungsfelder die Themen erkennt, sie zur Sprache bringt und moderiert.

 

Damit heißt es einfach: Herzlichen Glückwunsch zu 20 Jahren Akademie im 100jährigen Bistum Dresden-Meißen.