13. November 2020

Sensibilität in der Seelsorge

Abschluss der Tagung „Gefährliche Seelenführer? Geistiger und geistlicher Missbrauch“

Leipzig, 13. November 2020: Mit einer Pressekonferenz schlossen Bischof Heinrich Timmerevers (Dresden-Meißen), Bischof Dr. Genn (Münster), Dr. Katharina Anna Fuchs (Rom) und Prof. Dr. Myriam Wijlens (Erfurt) die zweitägige digitale Tagung „Gefährliche Seelenführer? Geistiger und geistlicher Missbrauch“ ab.

Bischof Timmerevers formulierte deutlich: „Wenn wir den geistigen und spirituellen Missbrauch thematisieren, nehmen wir keinen Deut von der Schwere der Schuld beim sexuellen Missbrauch. Dazu müssen wir stehen, aufklären und künftig verhindern. Die geistliche Begleitung von Menschen ist zu wichtig für uns als Religionsgemeinschaft, als dass wir auf einen Reflexionsprozess warten können, der uns von außen angetragen wird. Es geht nicht um den Schutz der Institution, denn: Der Schutz der Person ist zu wichtig, als dass wir geistlichen Missbrauch im Raum unserer Kirche unreflektiert lassen könnten.“ Es brauche zuerst den Empathiewechsel als katholische Kirche und den Blick aus Sicht der Betroffenen. „Wenn wir zuerst fragen, welche Konsequenzen wir als Institution bekommen, verhindern wir den angemessenen Umgang mit Betroffenen“, so der Bischof.

Zudem benannte Bischof Timmerevers konkrete Schritte, wie das Thema des geistigen Missbrauchs künftig im Bistum Dresden-Meißen aufgearbeitet werden solle:

- Arbeitsgruppe einrichten: Kriterien zur Definition geistlichen Missbrauchs und Verfahren im Umgang mit den Betroffenen entwickeln

- Ansprechpersonen beauftragen und benennen

Darüber hinaus ist es dem Bischof von Dresden-Meißen ein Anliegen, in der Deutschen Bischofskonferenz zu einem abgestimmten Umgehen mit der Thematik kommen. „Lassen Sie uns den Marathon gemeinsam begehen. Es wird eine weite Strecke zur Freiheit.“

Den Betroffenen Glauben schenken

Dr. Katharina Anna Fuchs, Psychologin am Institut der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, ergänzt, dass geistiger Missbrauch eine unterschätzte Gefahr mit gravierenden Folgen für die körperliche, psychische und seelische Gesundheit der Betroffenen sei, der neben dem Glauben auch die Beziehung zu Gott erschüttern oder gar zerstören könne. Für die Kirche gelte es nun, die Augen nicht vor geistlichem Missbrauch zu verschließen, sondern den Betroffenen ein offenes Ohr und Glauben zu schenken. „Präventionsmaßnahmen und konkrete Hilfsangebote sollten sich an den Bedürfnissen Betroffener orientieren. Dafür ist interdisziplinäre Zusammenarbeit nötig, bei der auch kirchenexterne Experten einbezogen werden.“ Regelmäßige Schulungen bilden dabei die Grundlage für die Arbeit geistlicher Begleiter*innen. Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit sollten das transparente Handeln auf allen Ebenen leiten.

Prof. Dr. Myriam Wijlens, Kirchenrechtlerin in Erfurt betont, dass es eine Umkehr in der Haltung hin zu Schutz und Würde des Menschen geben müsse. Bezogen auf staatliches Recht solle ein flexibler Entwicklungsprozess stattfinden und erweitert werden, wo erforderlich. Unter Prävention versteht die Professorin zu reflektieren, wie Menschen gut in der Kirche aufgehoben sein können und Faktoren zu identifizieren, die übergriffiges Verhalten implizieren, bzw. dieses vorzubeugen. Sie schlägt vor, eine Checkliste zur Überprüfung geistlicher Gemeinschaften zu schaffen und anhand dieser regelmäßige Visitationen in geistlichen Gemeinschaften vorzunehmen. Wijlens merkt an, dass Menschen, die sich in Situationen befinden, in denen sie leicht verletzbar sind, besonderen Schutz erfahren müssen. Hierfür benötige es qualifizierte Ansprechpersonen, die auf Grundlage des bestehenden Rechts beraten und zur Aufarbeitung geistigen Missbrauchs beitragen. „Nun gilt es, das, was im Dunkeln liegt, auch aufzudecken. Das bestehende Kirchenrecht ist dabei kein Allheilmittel.“ Wijlens fordert zur Überlegung heraus, welche weiteren Konsequenzen, auch in Bezug auf das Kirchenrecht, gezogen werden müssen.

Aufarbeitung vorantreiben

Bischof Dr. Genn dankte den Betroffenen für ihren Mut, auch gegen Widerstände, das Erlebte offenzulegen. Er wünsche, dass diese Berichte in den Blickpunkt gerückt werden. Denn geistliche Begleitung treffe die Wurzel kirchlichen Handelns. „Geistlicher Missbrauch ist eine Form des Machtmissbrauchs und hat gravierende Auswirkungen auf die emotionale und psychologische Befindlichkeit von Menschen und besitzt neben der individuellen auch eine systemische Komponente.“
Er sagte zu, dass sich die Kommission für „Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste“ (IV) intensiv mit den vielen auf der Tagung aufgeworfenen Fragen befassen, und entsprechende Vorschläge für die Bischofskonferenz erarbeiten werde. Fragen nach gelingender geistlicher Begleitung und Leitung, nach Präventionsschulungen, nach der Einrichtung von Anlaufstellen für Betroffene, nach Qualifizierungsmaßnahmen für kirchliches Personal, nach gesunden und transparenten Strukturen in allen kirchlichen Einrichtungen und Gruppen.

Schließlich bleibe es notwendig, bei der Thematik interdisziplinär mit der Psychologie und Psychiatrie, der Rechtswissenschaft und den unterschiedlichen theologischen Disziplinen zusammenzuarbeiten, wie wir es auf dieser Tagung gewinnbringend und fruchtbar erlebt haben, so Bischof Dr. Genn.

Veranstaltungsorganisatorin der Tagung, an der knapp 400 Personen teilnahmen, war die Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bischofskonferenz und der Sächsischen Landesärztekammer. „Die digitale Version einer so großen Tagung war für uns als Akademie eine Herausforderung. Aus meiner Sicht ist der Versuch geglückt und ermutigt, diesen Weg des Digitalen und Analogen fortzusetzen. Die Kirche befasst sich auch in der Pandemie mit für sie relevanten Themen. Ich bin demütig schweigend angesichts des Leids durch spirituellen Missbrauch, andererseits schreit das erlangte Wissen danach, sich innerhalb der Kirche ein neues Bewusstsein für charismatische Leitung, die Defizite existierender Machtstrukturen und deren teils spirituelle Überhöhung zu entwickeln. Die Akademien werden hierfür auch weiterhin ihren Beitrag leisten“, schloss Dr. Thomas Arnold, Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen.

In Leipzig ist heute (13. November 2020) die Online-Tagung „Gefährliche Seelenführer? Geistiger und geistlicher Missbrauch“ zu Ende gegangen, an der knapp 400 Personen teilgenommen haben. Eingeladen hatte dazu die Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bischofskonferenz und der Sächsischen Landesärztekammer.

Bei der Pressekonferenz zum Abschluss der Tagung betonte Bischof Heinrich Timmerevers (Dresden-Meißen): „Wenn wir den geistigen und spirituellen Missbrauch thematisieren, nehmen wir keinen Deut von der Schwere der Schuld beim sexuellen Missbrauch. Dazu müssen wir stehen, es aufklären und künftig verhindern. Die geistliche Begleitung von Menschen ist zu wichtig für uns als Religionsgemeinschaft, als dass wir auf einen Reflexionsprozess warten können, der uns von außen angetragen wird.“ Es gehe nicht um den Schutz der Institution, denn: „Der Schutz der Würde des Einzelnen ist zu wichtig, als dass wir geistlichen Missbrauch im Raum unserer Kirche unreflektiert lassen könnten.“ Es brauche zuerst den Empathiewechsel als katholische Kirche und den Blick aus Sicht der Betroffenen. „Wenn wir zuerst fragen, welche Konsequenzen wir als Institution bekommen, verhindern wir den angemessenen Umgang mit Betroffenen“, so Bischof Timmerevers.

Dr. Katharina Anna Fuchs, Psychologin am Psychologischen Institut der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom, ergänzte, dass geistiger Missbrauch eine unterschätzte Gefahr mit gravierenden Folgen für die körperliche, psychische und seelische Gesundheit der Betroffenen sei, der neben dem Glauben auch die Beziehung zu Gott erschüttern oder gar zerstören könne. Für die Kirche gelte es nun, die Augen nicht vor geistlichem Missbrauch zu verschließen, sondern den Betroffenen ein offenes Ohr und Glauben zu schenken. „Präventionsmaßnahmen und konkrete Hilfsangebote sollten sich an den Bedürfnissen Betroffener orientieren. Dafür ist interdisziplinäre Zusammenarbeit nötig, bei der auch kirchenexterne Experten einbezogen werden.“ Regelmäßige Schulungen bilden dabei die Grundlage für die Arbeit geistlicher Begleiterinnen und Begleiter. Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit sollten das transparente Handeln auf allen Ebenen leiten, so Dr. Fuchs.

Die Erfurter Kirchenrechtlerin Prof. Dr. Myriam Wijlens hob hervor, dass es eine Umkehr in der Haltung hin zum Schutz und zu der Würde des Menschen geben müsse. Bezogen auf staatliches Recht solle ein flexibler Entwicklungsprozess stattfinden und erweitert werden, wo erforderlich. Unter Prävention verstehe sie zu reflektieren, wie Menschen in der Kirche gut aufgehoben sein können. Außerdem müssten Faktoren identifiziert werden, die übergriffiges Verhalten implizieren bzw. diesem vorzubeugen. Prof. Wiljens schlug vor, eine Checkliste zur Überprüfung geistlicher Gemeinschaften zu schaffen und anhand dieser regelmäßige Visitationen in Gemeinschaften vorzunehmen. Sie merkte an, dass Menschen, die sich in Situationen befänden, in denen sie leicht verletzbar seien, besonderen Schutz erfahren müssten. Hierfür benötige es qualifizierte Ansprechpersonen, die auf Grundlage des bestehenden Rechts beraten und zur Aufarbeitung geistigen Missbrauchs beitragen. „Nun gilt es das, was im Dunkeln liegt, auch aufzudecken. Das bestehende Kirchenrecht ist dabei kein Allheilmittel.“ Prof. Wijlens forderte zur Überlegung heraus, welche weiteren Konsequenzen, auch in Bezug auf das Kirchenrecht, gezogen werden müssen.

Bischof Dr. Felix Genn (Münster), Vorsitzender der Kommission für Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste, dankte den Betroffenen für ihren Mut, auch gegen Widerstände, das Erlebte offenzulegen. Er wünsche sich, dass diese Berichte in den Blickpunkt gerückt werden. Denn geistliche Begleitung treffe die Wurzel kirchlichen Handelns. „Geistlicher Missbrauch ist eine Form des Machtmissbrauchs und hat gravierende Auswirkungen auf die emotionale und psychologische Befindlichkeit von Menschen und besitzt neben der individuellen auch eine systemische Komponente.“ Bischof Genn sagte zu, dass sich die Kommission intensiv mit den vielen auf der Tagung aufgeworfenen Fragen befassen und entsprechende Vorschläge für die Bischofskonferenz erarbeiten werde. Fragen nach gelingender geistlicher Begleitung und Leitung, Präventionsschulungen, der Einrichtung von Anlaufstellen für Betroffene, nach Qualifizierungsmaßnahmen für kirchliches Personal, gesunden und transparenten Strukturen in allen kirchlichen Einrichtungen und Gruppen müssten dabei geklärt werden. Es bleibe notwendig, „bei der Thematik interdisziplinär mit der Psychologie und Psychiatrie, der Rechtswissenschaft und den unterschiedlichen theologischen Disziplinen zusammenzuarbeiten, wie wir es auf dieser Tagung gewinnbringend und fruchtbar erlebt haben“, so Bischof Genn.

Bischof Timmerevers benannte außerdem konkrete Schritte, wie das Thema des geistigen Missbrauchs künftig im Bistum Dresden-Meißen aufgearbeitet werden solle: Dazu werde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die Kriterien zur Definition geistlichen Missbrauchs und Verfahren im Umgang mit den Betroffenen entwickeln solle. Außerdem würden entsprechende Ansprechpersonen beauftragt und benannt. Bischof Timmerevers betonte, dass es ihm ein Anliegen sei, in der Deutschen Bischofskonferenz zu einem abgestimmten Umgehen mit der Thematik zu kommen: „Lassen Sie uns den Marathon gemeinsam begehen. Es wird eine weite Strecke zur Freiheit.“

Akademiedirektor Dr. Thomas Arnold sieht sich durch die Tagung ermutigt: „Die digitale Version einer so großen Tagung war für uns als Akademie eine Herausforderung. Aus meiner Sicht ist der Versuch geglückt und ermutigt, diesen Weg des Digitalen und Analogen fortzusetzen. Die Kirche befasst sich auch in der Pandemie mit für sie relevanten Themen. Ich bin demütig schweigend angesichts des Leids durch spirituellen Missbrauch, andererseits schreit das erlangte Wissen danach, sich innerhalb der Kirche ein neues Bewusstsein für charismatische Leitung, die Defizite existierender Machtstrukturen und deren teils spirituelle Überhöhung zu entwickeln. Die Akademien werden hierfür auch weiterhin ihren Beitrag leisten“, so Dr. Arnold.

Hinweis:

Die Statements von Bischof Timmerevers und Bischof Genn bei der Abschlusspressekonferenz sind als pdf-Dateien im Anhang sowie unter www.dbk.de verfügbar.