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07. Juli 2020
Katholische Akademien zwischen Corona-Krise und Sparzwängen
Ein Hausbesuch bei den "Thinktanks" der Kirche
Bericht: Joachim Heinz (KNA)
Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Katholischen Akademien - wie ihre evangelischen Pendants - zum Wiederaufbau des politischen und gesellschaftlichen Lebens beitragen. Heute stehen sie vor anderen Herausforderungen.
In München öffnen sie am Donnerstag wieder ihre Pforten für Besucher. Dann wird Kardinal Reinhard Marx in der Katholischen Akademie in Bayern sein neues Buch "Freiheit" vorstellen. 50 Gäste sind zu der Veranstaltung zugelassen - obwohl 300 Platz hätten. Die Corona-Pandemie erzwingt weiterhin ihren Tribut, auch wenn in der ganzen Republik die kirchlichen "Thinktanks" nach und nach ihren Betrieb wieder hochfahren.
Ein Großteil der 27 Bistümer in Deutschland unterhält eigene Akademien. Dazu kommen Häuser, die sich in freier Trägerschaft befinden. Sie bringen Künstler mit Kirchenleuten ins Gespräch, lassen Politiker und Wirtschaftsvertreter zu Wort kommen, zeigen Filme oder organisieren Lesungen von Schriftstellern. Und erreichen mit ihren Angeboten Jahr für Jahr Tausende Menschen.
Doch der Lockdown im März hat die Bildungshäuser - viele mit Gästezimmern und Hotelbetrieb - hart getroffen. "Es war ein Tiefschlag", sagt der Münchner Akademiedirektor Achim Budde. Sein Kollege Siegfried Grillmeyer vom Nürnberger Caritas-Pirckheimer-Haus rechnet allein für das dortige Tagungshotel im laufenden Jahr mit einem Einnahmeverlust von 600.000 Euro.
Zuletzt schlug die Thomas-Morus-Akademie in Bergisch Gladbach Alarm und machte erhebliche Einnahmeausfälle öffentlich. Die vom Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Köln getragene Einrichtung finanziert sich zu 70 Prozent aus Teilnahmegebühren und lebt unter anderem von der Organisation von Bildungsreisen, angesichts von Corona derzeit kaum durchführbar.
Ein weiteres Problem: Die Stammkundschaft ist zumeist eher älter und gehört deswegen zur sogenannten Risikogruppe. Einige Teilnehmer würden möglicherweise "nur mit Sorge" wieder in die Häuser kommen, befürchtet Ruth Bendels vom Jakobushaus in Goslar, der Akademie des Bistums Hildesheim. Zugleich erlebte sie, wie andere Kollegen auch, ein treues Publikum in Krisenzeiten. "Manche haben freiwillig für ausgefallene Seminare bezahlt oder sogar größere Summen gespendet."
Unterdessen erweiterten viele Häuser ihre Aktivitäten im Netz. Ein Beispiel: Live-Übetragungen von Veranstaltungen. "Inzwischen streamen wir das, was bei uns stattfindet, mit professioneller Technik", sagt Joachim Valentin, Direktor des Bildungs-, Kultur- und Tagungszentrums "Haus am Dom" in Frankfurt. Man habe die persönliche Begegnung auf Null gefahren, die digitale Debatte auf 100, umschreibt es der Leiter der Akademie des Bistums Dresden-Meißen, Thomas Arnold.
Das Echo, berichten Grillmeyer, Valentin und Arnold übereinstimmend, war und ist bemerkenswert. So erzielte der von den Dresdnern angebotene Podcast "Mit Herz und Haltung" inzwischen fast 7.000 Abrufe. "Insofern", meint Arnold, "sind unsere 'Umsätze' innerhalb der letzten drei Monate eher gestiegen als gesunken." Sein Fazit: "Akademie kann Krise. Aber wir wollen auch wieder 'normal'."
Bis dahin wird aber wohl noch einige Zeit ins Land gehen. In München machen sie das Herbstprogramm "coronafest", wie Direktor Budde erzählt. Das heißt auch: "einen Plan B bereit zu haben, falls sich kurzfristig die Situation ändert". Wie andernorts setzen die Verantwortlichen dafür auf die Möglichkeiten der Digitalisierung. "Aber wir sind überzeugt, dass die direkte Begegnung von Menschen für den gedanklichen Fortschritt unersetzbar ist."
Ob das wiederum dauerhaft gelingt, ist auch eine Frage des Geldes. Die Kirchensteuereinnahmen werden zurückgehen und damit vermutlich auch die finanziellen Spielräume mancher Bildungshäuser. Der Sprecher der Katholischen Akademien, Peter Klasvogt, warnt bereits vor einem Kahlschlag. In einer immer säkularer werdenden Öffentlichkeit müsse Kirche diskursfähig bleiben. Hierzu könnten Akademien mit ihren vielfältigen Kontakten eine Menge beitragen, so Klasvogt, der die Katholische Akademie des Erzbistums Paderborn in Schwerte und das Sozialinstitut Kommende Dortmund leitet.
Dafür müsse man allerdings dahin gehen, wo es weh tut, fordert der Dresdner Akademieleiter Arnold. "Wenn wir wirklich Scharnier zwischen Kirche und Welt sein wollen, dann doch, wenn es quietscht." Nur wenn die an den Akademien geführten Debatten eine gesellschaftliche Relevanz besäßen, sei jeder bereit, Geld zu investieren. Sein Münchner Kollege Budde will sich durch Corona nicht die Agenda diktieren lassen. "Wir müssen auch 'Themen retten', denn Umwelt, Migration und Gemeinwohl oder auch Kultur und Philosophie haben aus christlicher Sicht nichts an Bedeutung verloren."
Ruth Bendels formuliert es so: Katholische Akademien gehörten zu den nicht gerade zahlreichen Orten in der Öffentlichkeit, "an denen frei von wirtschaftlichen Interessen über Gesellschaft intensiv nachgedacht und gestritten werden darf - und zwar nicht nur von Katholikinnen und Katholiken, sondern von allen." Diese Orte seien nicht nur ein gesellschaftlicher Schatz, fügt Bendels hinzu. "Ich glaube, sie sind lebenswichtig für eine gute, nachdenkliche und freundliche Gesellschaft.
Das Interview der KNA
Für den Bericht hat die Katholische Nachrichten-Agentur zuvor Akademiedirektor Thomas Arnold interviewt. Die ausführlichen Antworten im Überblick:
Inwiefern hat die Corona-Krise die Arbeit und die Angebote an der Akademie verändert?
Die Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen hat mit dem Beginn der Pandemie in Deutschland zwei Dinge getan: Die persönliche Begegnung auf 0, die digitale Debatte auf 100. Zum Schutz unserer Besucher haben wir uns früh dafür entschieden, die öffentlichen Veranstaltungen bis zum Sommer einzustellen. Akademien brauchen keinen Aktionismus, aber gerade in der Krise müssen sie ihrer Aufgabe nachkommen: Nämlich Foren für Diskussionen zu öffnen. Das haben wir getan, indem wir rasch den Podcast ‚Mit Herz und Haltung‘ entwickelt haben. Wir halten den Podcast im Akademiebereich der Kirchenfür innovativ, weil sowohl die christliche Deutung auf aktuelle Entwicklungen ermöglicht – und wir damit explizit unserem Beitrag als Kirche nachkommen können – als auch Positionen schnell aufgreifen könnenund damit den Streit mit unserer Perspektive bereichern können. Das ist uns inzwischen mehrfach gelungen: Zur Frage der Systemrelevanz des Todes mit Annegret Kramp-Karrenbauer oder aber auch zur Rolle der Kirchen in der Krise mit dem Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm und ZdK-Präsident Sternberg. Sie merken: Akademie kann Krise. Aber wir wollen auch wieder ‚normal‘. Denn ohne wirkliche Begegnung ist jede Akademie eine Anhäufung von Wissen ohne Bezugspunkt beim Anderen.
Aber auch nach Innen hat uns die Pandemie als Team verändert: Zu Beginn der Krise kam ich montags ins Büro, habe das Team zusammengeholt und am Nachmittag waren alle – vom Praktikanten bis zum Direktor – in der Lage im Social-Distancing-Modus die Akademiearbeit fortzusetzen. Seitdem treffen wir uns regelmäßig zu Videokonferenzen und tauschen uns digital aus. Bis heute. Ich bin froh, dass sich das Team darauf eingelassen hat. Zugleich zeigt es mir aber auch: Akademie kann digital.
Können Sie den Einschnitt durch die Corona-Krise beziffern?
Wenn der Veranstaltungsbetrieb von 100 auf 0 zurückgefahren wird, können Sie sich vorstellen, dass seit März auch die Gästezahlen bei 0 liegen. Aber die Krise lehrt uns auch neu zählen: Der Podcast ist Teil der Akademie, wurde inzwischen knapp 7.000 Mal gehört – insofern sind unsere ‚Umsätze‘ innerhalb der letzten drei Monate eher gestiegen als gesunken.
Hat die Krise auch positive Effekte, etwa was die Entwicklung von neuen Angeboten angeht?
Die Krise ist ein prozesshaftes Geschehen, dass in ganz verschiedenen Phasen verläuft. Landesweit lässt sich dies vielleicht an den Erfahrungen von Einschränkungen, dem Ringen um Grundrechte und Lockerungen gut nachvollziehen und terminieren. Für die Akademie erkenne ich in allen Phasen wertvolle, positive Effekte: Als in den ersten Wochen der Krise niemand wusste, wie sie sich weiter entwickeln würde und es auf gelebte Solidarität ankam, war es nicht die Zeit für Diskurse. Aber weil wir wie unter einem Brennglas Tendenzen unserer Gesellschaft und der Kirche erlebten, haben wir in den Wochen als Akademie intensiv beobachtet: Was sind die Themen, die in unserem Land brodeln und nach der Krise thematisiert werden müssen. Nur wenige Schlagworte: Neue Stacheldrähte an den Grenzen, der Umgang mit dem Tod, Sehnsucht nach Hoffnung angesichts eigener Hilflosigkeit, Freiheitsrechte und die Relevanz der Religion. Das alles ist nichts, worüber wir nur während Corona nachdenken müssen. Sondern hierfür brauchen wir neue Verständigungsprozesse, bei der ich hoffe, dass die Theologie und die KirchenAntwortoptionen einbringen.
Ich erinnere mich aber auch an die Phase der ersten Lockerungen, bei der vor allem in Sachsen auch Verschwörungstheoretiker auf den Straßen Gehör fanden. Schon bei Pegida, aber auch bei den Ausschreitungen in Chemnitz, haben wir gemerkt: Es besteht ein Sumpf von Haltungen, gegen die sich Christen positionieren sollten und zugleich die ernstgemeinte Kritik herausfiltern, um gemeinsam in der Diskussion nach einem Miteinander zu suchen. Mit dem Projekt Café Hoffnung stehen wir wieder auf Marktplätzen, um Vorurteile abzubauen. Wir sind derzeit dran, inzwischen bewährte Formate genau für diese Fragen zu öffnen. Ich verspreche Ihnen: Das SachsenSofa wird wiederkommen. Und dann erleben wir seit Wochen noch die binnenkirchliche Debatte zur Rolle der Kirchen und der Sehnsucht, ob Religion in der Krise noch Antworten bieten kann. Diese Frage ist so zentral und so schmerzhaft, dass sich der Synodale Weg und die Kirche in Deutschland davor nicht wegducken dürfen.
Für uns war die Krise bisher positiv: Unser Team hat genau hingehört. Wir bauen das digitale Angebot des Podcasts ‚Mit Herz und Haltung‘ aus. Und das SachsenSofa geht in die nächste Runde. Bei uns wächst digital und analog zusammen.
Wann rechnen Sie mit der Wiederaufnahme des Regelbetriebs?
Wir sind mitten im Regelbetrieb, aber eben anders. Natürlich fordert diese Pandemie uns. Aber was wäre denn eine Akademie, wenn sie nicht gerade in der Krise ein Anlaufort wäre, der offen wäre. Wenn wir wirklich Scharnier zwischen Kirche und Welt sein wollen, dann doch, wenn es quitscht. Das hatten wir zuletzt deutschlandweit beim Missbrauchsskandal, zuletzt beim Synodalen Weg und jetzt eben während Corona. Unser Regelbetrieb ist es, die Krisen anzupacken, einen Schritt zurückzutreten und mit katholischer Intellektualität zu denken. Wie dies dann im Leben des Einzelnen und der Gesellschaft implementiert wird, liegt in der Verantwortung der Mitdenkenden.
Die Kirchensteuereinnahmen gehen zurück. Was bedeutet das für die Arbeit der Akademien?
Kein Finanzverantwortlicher oder Bischof wird so unklug sein, einerseits zu merken, wie sehr wir gerade jetzt das Nachdenken über den Menschen und das gesellschaftliche Miteinander brauchen und dann dem dafür beauftragten Ort innerhalb der Kirche das Geld entziehen. Aber natürlich darf die Situation auch uns als Akademien nicht unberührt lassen. Wenn das Geld weniger wird, werden davon auch Bildungshäuser nicht verschont bleiben. Aber in Dresden gibt es den Hashtag #machenstattmeckern – das gilt auch für den drohenden Rückgang der Kirchensteuereinnahmen. Akademien dürfen nicht billig verzweckt werden, indem nur noch gilt: Wer im Haushalt das Plus zeigt, bleibt. Aber wir Akademien sind in der Pflicht, für die Kirche und die Menschen eine Relevanz zu entwickeln: Nur wenn die Debatten einen Wert für das Deuten und Gestalten der Situation entfalten, sind sie mehr als Schmuckstücke eines Bistums. Dann ist auch jeder bereit, dafür weiter Geld zu investieren. Das fordert aber von uns: Hoffnungsvoll machen statt ängstlich über drohende Einbrüche meckern. In Sachsen sehe ich uns dafür gut aufgestellt.