13. Februar 2020

Wir brauchen mehr Organe!

Eine Debatte über Widerspruchs- und Zustimmungslösung

Am 15. Januar 2020 fand im Freiberger Novalisforums eine Veranstaltung zum Thema: „Selbstbestimmungsrecht ade? Zur Debatte über die Widerspruchslösung der Organspende“ statt. Die 35 Anwesenden im Hörsaal überraschten die Referentinnen Dr. Patricia Klein, Ärztliche Geschäftsführerin der Sächsischen Landesärztekammer sowie Dr. Noreen van Elk, Referentin u. a. für Lebensschutz und ethische Fragen am Katholischen Büro in Berlin, mit einer hohen Bereitschaft zur Organspende. Ungewöhnlich, da man in der allgemeinen Bevölkerung scheinbar eher auf Unaufgeklärtheit und Desinteresse trifft. Urängste, wie ein Ende als „menschliches Ersatzteillager“ oder die „Befürchtungen noch bei vollem Bewusstsein auf dem OP-Tisch zu landen“, lassen viele vor einer Bereitschaft zur Organspende zurückschrecken.

Jährlich sterben in Deutschland von einer knappen Million ca. 600.000 Menschen in Krankenhäusern, allerdings sind davon nur ca. 10.000 potenzielle Organspender. Momentan beläuft sich die jährliche Zahl an Organspendern auf 1000, während 9000 Menschen auf ein Spenderorgan warten. Die Urängste wurden durch Dr. Klein entkräftet. Sie klärte auf über die Verfahren und Untersuchungen, sobald bei einem Patienten der Hirntod festgestellt wird. Denn nur das Hirntodkriterium setzt in Deutschland eine Organspende voraus. Zwei an der späteren Transplantation nicht beteiligte Ärzte, ein Anästhesist und ein Neurologe, nehmen die Untersuchungen vor. In Deutschland sind die Rahmenbedingungen einer Organentnahme rechtlich abgesichert. Ein „Kollektiv“ zu erschaffen, indem man füreinander einsteht − auch über den Tod hinaus − ist eine Wunschvorstellung von Dr. Patricia Klein, die klare Befürworterin der doppelten Widerspruchslösung war.

Im deutschen Bundestag wurde am 16. Januar 2020 über die doppelte Widerspruchlösung abgestimmt. In Deutschland wird zunächst die Zustimmungslösung erhalten bleiben, während in den überwiegenden Ländern Europas nach der Widerspruchslösung entschieden wird. Spanien als Spitzenreiter kommt auf 49 Spender pro eine Million Einwohner. Deutschland liegt in dieser Statistik im letzten Drittel, hier sind unter einer Million Menschen nur etwa zehn Personen bereit, ihre Organe zu spenden. Ob die Widerspruchslösung schlussendlich zu einer höheren „Spendebereitschaft“ geführt hätte, ist fraglich. Gegner der doppelten Widerspruchslösung appellieren besonders an das eingeschränkte Recht der Freiheit und sehen in ihr ebenso einen Eingriff in die Grundrechte. Die katholische Kirche spricht sich im Sinne der Nächstenliebe grundsätzlich positiv für eine Organspende aus, weist allerdings auch darauf hin, dass nicht jeder Weg ethisch gleich gut vertretbar ist. Während das Hirntodkriterium akzeptiert wird, stellen sich katholische und evangelische Kirche gegen die doppelte Widerspruchslösung, denn Organspende sollte immer freiwillig bleiben. Weder Dritte noch der Staat sollten über Organe wie Allgemeingüter verfügen.Eine Spende istmoralisch äußerst löblich, es ist ein Akt der Nächstenliebe, welcher einen anderen Menschen ein Weiterleben ermöglicht, sie sollte allerdings nie durch die Trägheit und Unwissenheit einiger Bürger erzwungen werden. Wer seine Organe spendet, begeht aus ethischer Sicht eine supererogatorische Handlung, eine Handlung welche über die moralische Pflicht oder eine Hilfspflicht hinausgeht. Als Organspender setzt man sich schweren medizinischen Eingriffen aus. „Eine Organspende übersteigt den Teil der moralischen Pflicht. Organspende ist etwas was nicht jedem zumutbar ist“, so Dr. van Elk, die sich gegen die doppelte Widerspruchslösung aussprach. Eine Spende ist ein Geschenk, sie erfordert keine Gegenleistung und ist von derartiger Güte, dass sie die Pflicht übersteigt.

Bereits im April 2019 trat eine weitere Gesetzesänderung in Kraft. Krankhäuser erhalten seither mehr Zuschüsse sowie vergütete Zeit für Organtransplantationen. Es gibt Transplantationsbeauftragte, welche ein schnelleres Agieren ermöglichen. Nach dem letzten Beschluss Anfang dieses Jahres wird das sensible Thema die Gesellschaft weiterhin beschäftigen, was bleibt zu erwarten? Gibt es eine moralische Pflicht, die eine rechtliche Pflicht rechtfertigen würde? Nein! Aussagen wie „Wir brauchen mehr Organe!“ wirken in erster Linie eher abschreckend. Organspende ist und bleibt freiwillig. Doch es braucht eine transparente und offene Debatte zum Thema „Umgang mit Organspende“ sowie eine bessere Aufklärung in Schulen, Arztpraxen und öffentlichen Einrichtungen. Eine Widerspruchslösung wird erst vertretbar, wenn jeder aufgeklärt ist.

Im Januar 2020 ist die Nachfrage nach Organspendeausweisen rasant auf 740.000 angestiegen und hat sich damit im Vergleich zu den vergangenen Monaten mehr als verdoppelt. Dies deutet auf ein vermehrtes Interesse in der Bevölkerung hin und lässt auf potenzielle neue Organspender hoffen.