08. Oktober 2019

Rote Stühle und ein runder Tisch: Was bleibt nach 1989?

Neue Kunstinstallation und Veranstaltungsreihe „Sturzlage?!

Genau 30 Jahre nach der Einkesselung von Demonstranten auf der Dresdner Prager Straße und der Gründung der „Gruppe der 20“ wurde heute, am 8. Oktober 2019, in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) die neue Veranstaltungsreihe „Sturzlage?! Die Sehnsucht nach uns in der Veränderung“ vorgestellt. 

Die siebenteilige Reihe von Oktober 2019 bis Januar 2020 wird gemeinsam von der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen, der SLUB, dem Institut für Katholische Theologie der TU Dresden, und DRESDEN-concept organisiert. Im 30. Jahr nach der Friedlichen Revolution verfolgen Politik und Kirche das Ziel, Frieden zu erreichen, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität zu fördern und ein „gutes Leben“ für alle zu erreichen. Die Veranstaltungsreihe reflektiert, was dies konkret bedeutet und welche Rolle Kirche und Gesellschaft in ihrer gegenseitigen Bezogenheit einnehmen (sollten).

„Der 8. Oktober war für Dresden Ausdruck des Mutes, für die Freiheit einzustehen“ erklärt Dr. Thomas Arnold, Direktor der Katholischen Akademie. „Die Friedliche Revolution ist vollendet, aber die Sehnsucht nach Freiheit und die Suche, wer wir sein wollen, noch lange nicht. Darüber müssen wir in Zeiten der Polarisierung neu nachdenken.“ Die Gesellschaft müsse sich 30 Jahre nach dem Prozess von Friedlicher Revolution, Runden Tischen und Wiedervereinigung fragen, was sie künftig einen wird. Dabei gehe es nicht um ein Festhalten am Alten, sondern darum, herauszufinden wer man selbst drei Jahrzehnte nach dem ereignisreichen Herbst 1989 sein will. Dies sei einerseits eine individuelle, andererseits eine gesellschaftliche Aufgabe.

Dr. Achim Bonte, Generaldirektor der SLUB, betont, dass gerade eine Bibliothek der richtige Ort hierfür sei: „Die SLUB ist ein lebendiger Marktplatz der Ideen und Meinungen. Mit unseren Veranstaltungen wollen wir dazu beitragen, Wissen zu teilen, Menschen zusammenzuführen und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Nur mit einer ausreichenden Menge gemeinsamer Überzeugungen und Werte besitzt ein freiheitliches Gemeinwesen die entscheidende Voraussetzung, die es zu seiner Existenz benötigt.“

Die Veranstaltungsreihe nimmt dabei in besonderer Weise Menschen in den Blick, die sich zwar wissenschaftlich mit den historischen Ereignissen auseinandersetzen, aber kaum mehr persönliche Erinnerungen damit verbinden. Die theologische Reflexion habe hierfür eine besondere Aufgabe. Dr. habil. Julia Enxing, die die Professur für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie der TU Dresden vertritt, erklärt: „Das Institut für Katholische Theologie der TU Dresden agiert im gesellschaftlich-kirchlichen Spannungsgefüge. Es freut mich deshalb, dass die Veranstaltungsreihe die Thematik nicht nur einer breiten Öffentlichkeit vorstellt, sondern auch als Lehrveranstaltung für Studierende der Theologie und anderer Studienrichtungen dient. Die Besonderheit ist hierbei, dass die Studierenden die theoretischen Grundlagen aus ihrem Studium direkt in einen ganz praktischen Bezug zur Lebenswirklichkeit setzen können und so auch ihre (religiöse) Sprachfähigkeit außerhalb des universitären Settings festigen.“

Der Auftakt: Die Ökumenische Versammlung als Impulsgeber

Schon die Auftaktveranstaltung verdeutlicht die Bedeutung historischer Prozesse für die Gestaltung aktueller gesellschaftlicher Fragestellungen. Denn die Ökumenische Versammlung stellte bereits in den 1980er Jahren die Frage nach Ökologie, Frieden und Gerechtigkeit. Am 15. Oktober diskutieren mit dem Landtagsabgeordneten und Bürgerrechtler Frank Richter die Podiumsteilnehmenden Lara Edtmüller (engagierte Studentin bei „Fridays for future“), der langjährige Vizepräsident des Umweltbundesamtes, Dr. Thomas Holzmann, sowie der Militärdekan im Evangelischen Militärpfarramt Hamburg II a. D., Dr. Hartwig von Schubert, und die pax-Christi Bundesvorsitzende Stefanie Wahl.

Den Abschluss der Reihe bildet ein Poetry Slam am 21. Januar 2020. „Ein spannender Versuch für uns, mit dem wir auch das kreative Potential junger Menschen fördern wollen“, freut sich Dr. Achim Bonte schon jetzt. Mit einem 90-sekündigen Video kann man sich hierfür bis 1.12.2019 unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! bewerben.

Die Begleitausstellung: Kunstinstallation „Sturzlage“

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe wird die Kunstinstallation „Sturzlage“ ausgestellt, die derzeit auch Teil der Leipziger Sonderausstellung „point of no return“ ist. Sie setzt sich aus Stühlen zusammen, die den „Runden Tisch“ bildeten, an dem ab Ende 1989 Vertreter der Regierung und Oppositionsgruppen um eine Gesellschaft rangen, für die Geschlechtergerechtigkeit, Migrationsfragen, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit zentral waren. Der „Runde Tisch“, ein immaterielles Erbe unseres Landes mit einem kaum beschreibbaren politischen und gesellschaftlichen Erfahrungsschatz, der in den Möbeln von damals seinen Ausdruck findet. Die Berliner Kunsthistorikerin Gabriele Dolff-Bonekämper fand in einem Abstellraum der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin-Pankow die Tische und Stühle vom Zentralen Runden Tisch und präsentierte sie als Installation im Haus der Berliner Festspiele. Im Herbst 2019 kommt dieses Relikt politisch turbulenter Zeiten an die Orte der Veranstaltungsreihe. Damit werden die Risse einer höchst lebendigen Vergangenheit sichtbar und fordern Klärungen zwischen dem Eigenen und dem Fremden - in einer Zeit, die das Neue will und am Alten hängt.

 

Die Veranstaltungsreihe wird vom Freistaat Sachsen über das Förderprogramm „Revolution und Demokratie“ durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushalts sowie von der Stiftung Friedliche Revolution gefördert.

Die ganze Reihe im Überblick:

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